In der Großstadt sieht man selten die Sterne. Und noch seltener sieht man, wie der Mond aufgeht. Gestern Abend hatte ich Glück: Während der Bus über eine Brücke
fuhr, sah ich die große, beinahe rot leuchtende Kugel am Himmel. Es war wohl Vollmond und wunderschön. Schade, dass die junge Dame neben mir - die am Fenster saß! - nur Augen für ihr Smartphone
hatte. Es war so surreal: Die Türme und Lichter der Großstadt, die S-Bahnen unter der Brücke, der Verkehr. Und über allem der Mond. Schon faszinierend. Und mit einem Mal fiel mir wieder das
Gedicht von Simone Weil ein, das ich vor einigen Monaten entdeckt hatte (wie ich überhaupt da erst die Philosophin Simone Weil entdeckte, übrigens eine sehr interessante Person): "The Gate" -
"Das Tor". Ich entdeckte es in der englischen Übersetzung und bin bislang noch auf keine Übersetzung ins Deutsche gestoßen, die sprachlich ebenso schön wäre.
"The Gate" erzählt von der Sehnsucht der Menschen, nach der Welt hinter dem Tor. Nach einer Welt voller Obstbäume und Flüsse, in denen sich das Mondlicht spiegelt.
Doch so sehr sich die Menschen bemühten, das Tor zu öffnen, es bleibt verschlossen. Schieben, drücken, ziehen, weinen, wehklagen, nichts hilft. Und gerade dann, als sie sich verzweifelt umwenden
und dem Tor den Rücken kehren, öffnet es sich. Und dahinter sind weder Obstbäume noch Flüsse. Dahinter ist einfach nur Licht. Und Stille.
Manchmal gibt es so Momente, da steigt eine Sehnsucht in mir hoch, die ähnlich der Sehnsucht nach der Welt hinter dem Tor ist. Oftmals dann, wenn ich in die Sterne schaue und den Mond bewundere. Die Sehnsucht nach der Welt hinter der Welt. Und damit das nicht zu abgehoben klingt: Es ist auch ein bisschen von der Sehnsucht, die Audrey Hepburn in dem Lied "Moon River" so sinnlich besingt: "Moon river, wider than a mile. I'm crossin' you in style some day"...