Nach mittlerweile 12 Jahren in München hatte ich vergangene Woche eine Premiere: Ich blieb in einer S-Bahn-Türe stecken.
Und machte mich damit höchstwahrscheinlich bei etwa 500 Fahrgästen plus
Lokführer unbeliebt. Die S-Bahn stand am Bahnhof und in dem Moment, in dem ich meinen linken Fuß in den Wagen hob, gingen die Türen zu. Einfach so. Ohne Vorwarnung. Mein linker Fuß inklusive dem
linken Arm und der halben Aktentasche auf der rechten Körperseite waren drinnen. Mein rechter Fuß, die rechte Hand und - Gott sei Dank - der ganze Kopf, waren draußen. Die sich schließende
Tür reagierte auf den Widerstand und blieb stehen. Wenn ich so im Nachhinein darüber nachdenke,
muss es schon komisch ausgesehen haben. Aber das hat außer mir wohl keiner gesehen, denn die Menschen in der Bahn waren mit ihren Handys beschäftigt und merkten gar nicht, wo ich
hing. Eine gefühlte Ewigkeit dachte ich mir „das kann doch nicht wahr sein!“ bis mein Gehirn endlich den Befehl gab „rechte Hand auf den Türknopf drücken“. Was dann auch funktionierte, die Tür
gab die Blockierung auf und ich stolperte mit dem Rest meines Körpers ins Abteil. Während die S-Bahn losfuhr, fürchtete ich eine Durchsage des Lokführers, wie ich schon ungezählte gehört hatte:
„An die Dame im grauen Mantel mit der blau-weiß gepunkteten Aktentasche: Entscheiden Sie sich nächstes Mal früher, auf welcher Seite der Türe Sie stehen wollen!“ Aber es kam nichts Derartiges.
Der Fahrer hatte es inzwischen wohl schon aufgegeben, jedem steckengebliebenen Menschen eine Rüge zu erteilen. Gott sei Dank.
So
zwischen den Türen zu stecken, nicht ganz drinnen, aber auch nicht ganz draußen, ist ein interessantes Gefühl. Andererseits ist es mir auch nicht ganz unbekannt. Mein - im wahrsten Wortsinne - „Zwischenfall“ in der S-Bahn
war eigentlich nur die körperliche Manifestation dessen, was ich in den vergangenen Monaten innerlich wahrgenommen hatte. Sich für keine Seite entscheiden zu wollen, das ist merkwürdig. Denn
immer droht da die Rüge des Lokführers, endlich zu wählen. Schön ist es auch nicht, wenn der rechte Fuß nicht da ist, wo der linke grade steht. Und doch: So, wie ich für einen kurzen Moment den
Bahnsteig mit dem Waggon, das Stehenbleiben mit dem Abfahren, körperlich verbunden hatte, ist es auch bei handfesten Lagerbildungen: Ich stehe dazwischen, bin weder dort noch da ganz drin und warte, dass der Lokführer klärend
eingreift oder das Gehirn endlich den Befehl zum richtungsentscheidenden Handeln gibt. Kein schönes Gefühl, aber ein so notwendiges. Denn der zuständige Lokführer für diese Fragen macht da eine
deutliche Ansage: „Gebt Acht, dass man euch nicht irreführt! Denn viele werden unter meinem Namen auftreten und sagen: Ich bin es! und: Die Zeit ist da. - Lauft ihnen nicht nach!“ (Lk
21,8)
Wenn das so ist, dann bleibe ich besser noch ein Weilchen in der Türe stehen.